Anfang Mai war es dann so weit: der High Commissioner von Französisch Polynesien verkündete die ersten Lockerungen der Einschränkungen. Wir durften wieder so oft wir wollten an Land fahren, schwimmen gehen und sogar in die benachbarten Buchten segeln, solange wir nicht die Insel wechseln. Endlich aus der Haft entlassen. Google Translate übersetzt das Wort „Confinement“ mit „Haft“ und ein bisschen hat es sich auch so angefühlt. Der Wind hatte seit April nach Südost gedreht und viel Schwell in die Bucht von Taiohae wandern lassen. Das Leben auf BELLA hat sich angefühlt wie auf See, keine Kaffeetasse konnte man frei auf dem Tisch stehen lassen, an gradliniges Nähen war nicht zu denken. So waren wir froh, endlich in die geschützte Bucht von Hooumi fahren zu dürfen. Aber erstmal musste BELLA wieder fahrbereit gemacht werden. Der Bewuchs auf dem Unterwasserschiff und dem Propeller war schlimmer denn je, Muscheln in jedem Borddurchlass. Schön, dass nichts komplett zugewachsen war und während des Confinements alles funktioniert hat…
Französisch Polynesien war im Mai quasi Covid frei bis ein ecuadorianisches Fischerboot mit einigen Verdachtsfällen um Hilfe bat. Weit weg von der Bevölkerung wurde ein Großteil der Besatzung von Bord geholt und zur weiteren medizinischen Versorgung nach Tahiti geflogen. Damit stiegen die Infiziertenzahlen mal eben von 30 auf 55, aber alle waren unter Quarantäne und das Virus breitete sich nicht weiter aus. Nach und nach wurden weitere Lockerungen innerhalb Französisch Polynesiens verkündet.
Wir nutzten die Chance und segelten zur Nachbarinsel Ua Pou, wo wir schon zum Festival im Dezember waren. Wir waren das einzige bewohnte Segelboot und die ersten Besucher nach dem Confinement. Wie immer grüssten alle Leute auf der Straße freundlich als würden sie uns kennen. Im Supermarkt wurden wir gefragt, woher wir kommen und wo wir die letzten Wochen waren. Der Herr war sichtlich erleichtern, als wir sagten wir wären schon seit elf Monaten auf den Marquesas. Er sagte, das wäre wichtig zu wissen, denn die Menschen hätten Angst vor uns. Schöner Mist! Das ist kein gutes Gefühl… Zum Glück haben wir immer wieder festgestellt, dass die Menschen nur misstrauisch waren, so lange sie nicht wussten, wo wir das Confinement verbracht haben. Als sie hörten, dass wir Ua Pou schon vom Festival aus dem letzten Jahr kannten, wurden wir sofort willkommen geheißen.
Nach 11 Monaten auf den Marquesas machten wir uns Ende Mai auf den Weg zum nächsten Archipel Französisch Polynesiens. Vor uns lagen die TUAMOTUS, die weltgrößte Gruppe von Korallenatollen. Insgesamt 78 Atolle erstrecken sich über eine Fläche die der Größe Westeuropas entspricht, während ihre Landfläche nur so groß ist wie das Stadtgebiet von Berlin. Nur 45 Atolle sind von etwa 17 Tausend Menschen bewohnt.Unter Seglern waren die Tuamotus bis vor kurzem als „die gefährlichen Inseln„ bekannt und wurden von vielen gemieden. Die niedrigen Koralleninseln sind erst sehr spät mit bloßem Auge erkennbar und in ihrem Inneren auch heute noch selten kartiert. Der Korallensaum ist teils bewachsen, teils wird er vom Meer überspült.
Nach 4 Tagen Segelns mit vielen nächtlichen Squalls und wenig Schlaf erreichten wir am 01.06.2020 morgens um 10 Uhr Raroia, unser erstes Atoll. Die Passeinfahrt von Raroia sollte nach allem, was wir gehört hatten, verhältnismäßig breit und einfach sein, trotzdem hatten wir Schiss, um es mal ehrlich zu sagen. Durch Ebbe und Flut ändert sich auch der Meeresspiegel innerhalb des Atolls. Dann strömt das komplette Wasser, was in das Atoll rein bzw. wieder raus möchte, durch genau diesen Pass. Das Wasser muss also stark beschleunigt werden. Je nach Atoll und Gezeit kann dies bis zu 8-9 Knoten Strom bedeuten (zum Vergleich: wir fahren unter Motor mit BELLA gerade mal 5 Knoten). Bei einer Wind-gegen-Strom-Situation können sich steile Wellen aufbauen. Unsere erste Passeinfahrt wollten wir also am liebsten bei optimalen Bedingungen erleben und den Moment des Stillwassers erwischen. Auf der Nordsee gibt es hierfür exakte Tabellen, hier nicht. Angeblich soll man es sehen, wenn man davor steht. Hmmm, aber wie sieht es genau aus? Nach unseren Berechnungen sollten gegen 11 Uhr optimale Bedingungen herrschen. Um 10 Uhr konnten wir mit dem Fernglas eine weiße Welle hinter der Passeinfahrt quer in der Lagune erkennen. Also einlaufendes Wasser, die Strömungen trafen sich direkt hinter dem Pass. Nach einer Stunde Wartezeit war der weiße Streifen deutlich kleiner geworden. Wie schön! Aber wann ist nun der richtige Zeitpunkt? Jetzt oder noch warten? Wir waren unsicher und nervös. Was passiert, wenn der einlaufende Strom so stark ist, dass sich BELLA nicht mehr vernünftig steuern lässt? Trotz aller Bedenken muss man irgendwann fahren. Also los! Der Pass war wirklich sehr breit und tief, das Wasser so klar, dass man den Grund sehen konnte. Alles ging prima, BELLA beschleunigte um etwa einen Knoten wie von Geisterhand, dann begann das Wasser um uns herum zu strudeln. Matthias fühlte sich ein bisschen so, als würde er auf Glatteis fahren und dann waren wir drin. Das war alles? Warum haben alle so eine Panik vor diesen Passeinfahrten???? Inzwischen wissen wir, dass wir optimale Bedingungen hatten. Bei schlechtem Wetter oder Wind-gegen-Strom sieht das komplett anders aus und darf auf keinen Fall unterschätzt werden!
Jetzt mussten wir nur noch aud dem Weg zu unserem Ankerplatz im Nordosten des Atolls die vielen Korallenköpfe umschiffen, die aus der Tiefe emporwachsen und teilweise erst kurz unter der Wasseroberfläche enden.
Da sind wir. Das Wasser bewegt sich kaum. So still wie hier im Inneren des Atolls hat BELLA seit Monaten nicht mehr gelegen. Kein Geschirr klappert im Schrank, kein Plätschern an der Bordwand. Ein traumhafter Ausblick und kein Mensch da, nur wir!
Diese Idylle hielt keine 24 Stunden an, dann fing der Himmel an sich zu verdunkeln.
Und irgendwann war „unsere Palme“ ganz weg.
Zwei Tage lang immer wieder Gewitter.
Der Wind drehte auf West, es baute sich zwischendurch eine unangenehme Well auf und wir hatten im Maximum 33 Knoten Wind. Aber wir hatten Glück, unser Anker hielt. In einigen Nachbar-Atollen sah es anders aus. Es wurden bis zu 60 Knoten Wind gemessen, Ankerketten hatten sich bei den Winddrehern in den Korallenköpfen verhakt und für Schäden am Ankergeschirr gesorgt. Zwei Boote sind auf einem Riff gelandet.
Die meiste Zeit sah es für uns auf den „gefährlichen Inseln“ jedoch eher aus wie im Paradies.
Ein schönes Video aus der Zeit auf Raroia gibt es von Nina und Mario (SY SeaTramp) hier auf YouTube.