Eine Woche vor Ostern haben wir in Hiva Oa unseren Mast reparieren lassen. Wir waren so froh, dass dieses Thema nun endlich abgeschlossen war und haben uns spontan überlegt, im März für drei Wochen nach Deutschland zu fliegen.
Während wir mit unserer Urlaubsplanung beschäftigt waren, tauchten die ersten Meldungen über die Ausbreitung des Corona-Virus in der Region Heinsberg auf. Täglich verfolgten wir die Infektions-Zahlen in den verschiedenen Ländern und fragten uns, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn wir Ende März zurück zum Boot auf die Marquesas fliegen wollen. BELLA sollte während unseres Urlaubs vor Anker in der großen Bucht von Taiohae, Nuku Hiva, liegen. Der Ankergrund ist gut und eine deutsche Familie auf dem Nachbarboot wollte ein Auge auf sie werfen. Da hatten wir ein gutes Gefühl. Aber was würde passieren, wenn wir unseren Rückflug wegen der Ausbreitung des Coronavirus nicht würden antreten können? BELLA allein vor Anker am anderen Ende der Welt? Kein gutes Gefühl. Also haben wir am letzten Tag vor unserem Abflug hier in Nuku Hiva nach den Stornierungsbedingungen für die diversen Flüge gefragt und erfahren, dass unsere Tickets wegen der Corona-Krise ausnahmsweise kostenfrei storniert werden können und wir die 2.500 EUR zurück bekommen. Damit war die Entscheidung gefallen. Natürlich waren wir nach wie vor unsicher, ob wir mal wieder zu vorsichtig waren. Aber mit jedem weitern Tag wurde klarer, dass wir genau das Richtige getan hatten, auch wenn von einer Rücküberweisung der Flugkosten noch nichts zu sehen war. Von einer Arztpraxis zur nächsten zu rennen, von Nord nach Süd zu fahren, möglichst viele Leute innerhalb kürzester Zeit zu treffen, bei meinen Eltern Geburtstag zu feiern, wäre unverantwortlich gewesen und wir würden noch heute auf einen Rückflug zu den Marquesas warten.
Direkt im Anschluss an unseren Urlaub sollte Martina zu uns an Bord kommen. Vier Wochen ihres dreimonatigen Sabbaticals wollte sie auf BELLA verbringen und mit uns zu den Tuamotus segeln. Schnell stellte sich heraus, dass auch für sie die Anreise nach Französisch Polynesien nicht mehr möglich war und wir mussten uns überlegen, was dies alles für unsere weitere Planung bedeuten würde. Acht Monate waren wir nun schon auf den Marquesas, die meiste Zeit davon auf der Hauptinsel Nuku Hiva und wir konnten es kaum abwarten, endlich zu den Tuamotus mit dem türkis klaren Wasser aufzubrechen, von denen so viele andere berichtet hatten. Unter dem Einfluß der Corona Pandemie wurden die Karten neu gemischt und plötzlich waren für uns ganz andere Kriterien wichtig. Wir wollten einen sicheren Ankerplatz, eine möglichst gute Versorgungslage, Internetzugang und im Notfall auch medizinische Hilfe in der Nähe haben. Damit fielen die Tuamotus aus und wir beschlossen, in Nuku Hiva zu bleiben und schon mal unsere Vorräte aufzufüllen, falls wir uns doch noch entschließen würden weiter zu segeln.
Geschätzt lagen zu diesem Zeitpunkt, Mitte März, etwa sechzig Boote in der Ankerbucht von Taiohae und täglich kamen neue hinzu. Viele Boote sind der klassischen Segelroute über den Pazifik folgt, im Februar oder März in Panama oder Amerika ausgelaufen, um im Frühjahr auf den Marquesas anzukommen. Wenn man ein neues Land ansteuert, hisst die gelbe Quarantäne-Flagge, um zu signalisieren, dass alle an Bord gesund sind. Diese Flagge darf erst runter genommen werden, wenn das Schiff einklariert ist. Bisher haben wir über diese Praxis gelächelt, wir dachten das sei ein Überbleibsel aus Zeiten, als es noch die Pest an Bord gab. In Zeiten des Corona-Virus, ist es jedoch vielleicht wieder sinnvoll…
Die Regierung Französisch Polynesiens hat nicht lange gezögert Restriktionen einzuführen und Mitte März den Kreuzfahrt-Tourismus verboten, alle Schulen geschlossen und die Oberschüler aus den Internaten in Tahiti zu ihren Familien auf die verschiedenen Inseln gebracht. Der Schiffs- und Flugverkehr zwischen den einzelnen Archipelen wurde komplett gestoppt. Das Haus (oder in unserem Fall das Boot) durfte nur verlassen werden, um zur Apotheke oder zum Arzt zu gehen, sowie einmal pro Woche zum Supermarkt und nachts gab es eine komplette Ausgangssperre. Jede Art von Wassersport, inklusive Schwimmen war für alle Inselbewohner und auch die Segler verboten. Niemand durfte den Ankerplatz verlassen, an dem er gerade war. So saßen wir also hier sechs Wochen lang auf max. 20qm Wohnraum bei über 30 Grad im Bootsinnern, schwitzend vom Morgenkaffee bis zum Abendessen. Ins Wasser springen durften wir nicht und unsere Nachbarn und Freunde auf den anderen Booten durften wir auch nicht besuchen.
Trotzdem waren wir sehr froh hier zu sein und haben uns in Nuku Hiva bis zu dem Tag sehr sicher gefühlt, als die Neuigkeit kam, dass alle Nicht-Polynesier das Land verlassen müssen. Da kam auf BELLA Panik auf! Würden wir das Boot hier auf unbestimmte Zeit alleine vor Anker lassen müssen und nach Deutschland zurück kehren???? Wir haben Peter Wiedekamm vom Trans-Ocean gebeten, für uns herauszufinden, was in einem solchen Fall unsere Rechte sind. Er hat sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Infos beim Auswärtigen Amt und der Botschaft in Hamburg zu erhalten. Gleichzeitig hat es hier in Französisch Polynesien viele Gespräche zwischen Seglern und Behörden gegeben, mit dem Ergebnis, dass alle Segler, die länger als einen Monat im Land waren, bleiben durften, wo sie sind. Die Erleichterung auf BELLA war groß! Anders erging es neu ankommenden Yachten. Sie wurden nicht mehr auf den Marquesas einklariert und aufgefordert direkt nach Tahiti segeln. Ausnahmen gab es nur aus medizinischen oder technischen Gründen und um Diesel oder Proviant zu bunkern. Trotzdem füllte sich der Ankerplatz stetig mit neuen aus Panama oder Amerika ankommenden Yachten, die meisten wurden jedoch nach wenigen Tagen weiter geschickt.
Auf diese Weise waren immer zwischen 70 und 100 Boote hier in der Ankerbucht. Die Kommunikation fand hauptsächlich über das Funkgerät statt. In der morgendlichen Funkrunde gab es aktuelle Informationen, zuerst auf Englisch und zwei Stunden später auf Französisch. Die Kinder hatten ihr eigenes Kinder-Netz mit selbst erdachten Rollenspielen, die Frauen trafen sich im Ladies-Net und abends gab es eine Quiz-Show für die englischsprachigen Segler. Es ist faszinierend, welche phantasievollen Einfälle viele Segler hatten.
Eines Abends waren wir zu einer Party bei Leanny und Dave auf PERIGEE eingeladen, natürlich nur virtuell, da niemand sein Boot verlassen durfte. Alle sind nacheinander in ihrem virtuellen Dinghy angelandet, indem sie auf Funkkanal 72 angeklingelt haben und wurden von Dave begrüßt. Dann ging es weiter ins Cockpit auf Funkkanal 68, wo man von Leanny mit den anderen Gästen bekannt gemacht wurde, die sich dort versammelt hatten. Als es voller wurde, haben sich alle weiter verteilt. Auf dem Bug (Kanal 77) gab es eine Bühne wo jeder Musik oder Gedichte vortragen könnte, sogar die deutsch sprachigen Gäste hatten ihre eigene Ecke auf einem separaten Kanal. So konnte man virtuell auf dem Boot herumgehen, indem man sich durch verschiedene Kanäle schaltete und hören, wer sich mit wem unterhielt oder der Musik lauschen. Witzige Idee! Aber bestimmt super anstrengend für die Gastgeber!
Sogar ein eigenes Radioprogramm von Seglern für Segler, mit dem schönen Namen „Radio Paradise“, gab es. Das war echt klasse. Mit Good News, Interviews, Quiz und Musik. In den Interviews wurden Leute mit kreativen Bootsnamen und deren Hintergrund vorgestellt oder außergewöhnliche Segelgeschichten aus spannenden Reviere vorgestellt. Mike vom Boot EASY hat Musik gemacht, unter dem schönen Namen „Easy listening“.
Sechs Wochen fast ausschließlich an Bord „gefangen“ zu sein war wirklich lang, aber die vielen Aktivitäten haben die Stimmung ganz entscheidend beeinflusst! Seit Ende April dürfen wir nun wieder uneingeschränkt an Land gehen, die Restaurants öffneten und öffnen nach und nach, wir dürfen Freunde vom Nachbarboot einladen und besuchen, nur die Abstandsregeln müssen eingehalten werden und das Treffen von großen Gruppen ist verboten. Hier auf den Marquesas ist noch immer kein einziger Corona-Fall gemeldet worden und auch in Tahiti geht die Zahl der Menschen, die Symptome haben stetig zurück. Jetzt bleibt es abzuwarten, ob langfristig der Boots- und Flugverkehr innerhalb Französisch Polynesiens wieder aufgenommen wird und ob auch wir dann wieder innerhalb der Inselgruppen segeln dürfen.