Bella

Ein neuer Kontinent

Es ist fünf Uhr morgens und wir haben die Lichter von Isla Mujeres vor uns. Der Mond hat stark abgenommen, aber immerhin ist Mond da, das hilft in fremden Gewässern. Wir sind ein bisschen zu früh und versuchen zu bremsen, um die erste Tonne in der Dämmerung zu passieren. Das Vorsegel ist eingerollt und nur unter Grosssegel schaukeln wir langsam weiter.

Jetzt schiebt sich eine dicke Wolke vor den Mond. Leider bringt sie auch ein paar Knoten mehr Wind mit. Wir wollten doch bremsen…

Nach mehr als einem Jahr Insel-Hopping wartet  ein neuer Kontinent auf uns: Amerika. Ziel ist die kleine Insel Isla Mujeres vor der Touristenhochburg Cancun in Mexiko. Das letzte Mal war ich vor ca. 25 Jahren mit dem Rucksack hier. Heute ist die Insel nicht mehr ganz so verträumt wie damals, auch hier gibt es inzwischen Hotels und jede Menge Touristen, die mit ihren Golfcards, die kleinen Strässchen verstopfen.

Unser erstes Ziel nach unserer Ankunft war der große Supermarkt. Nach 2,5 Monaten Kuba waren unsere Vorräte ziemlich zur Neige gegangen und wir freuten uns mal wieder einkaufen zu können, worauf wir gerade Lust haben und nicht auf die drei Produkte beschränkt zu sein, die es gerade gibt. Im Supermarkt angekommen, waren wir komplett überfordert. Schweigend und mit großen Augen sind wir durch die Regale gegangen, konnten uns nicht satt sehen und schon gar nicht entscheiden. Wir hatten einen Bärenhunger und es war klar: entweder kaufen wir ALLES was wir kriegen können und davon so viel wir tragen können bzw. in ein Taxi passt oder wir gehen erstmal essen, verdauen den ersten Eindruck und machen uns einen Einkaufszettel. So sind wir in einem netten kleinen Restaurant gelandet und haben das erste mexikanische Essen genossen. Hier ist uns klar geworden wie luxuriös doch die Einkaufsmöglichkeiten in Deutschland sind und mit welcher Selbstverständlichkeit wir täglich davon ausgegangen sind, dass es immer alles gibt.

Schnell haben wir uns an den Alltag auf der kleinen Insel gewöhnt. Abby, eine junge Engländerin, die seit einigen Jahren in Mexiko lebt, bietet im netten Hostal Poc-na täglich Spanisch-Unterricht an. Also morgens schön mit dem Dinghy an Land getuckert und an unserer Palme festgemacht. Zwischen den Rollern über die Straße und auf den Küstenweg an der Ostseite der Insel. Gelernt wird unter dem Strohdach der Strandbar. Nebenbei räumt der Barkeeper die Bar vom letzten Abend auf und es schwappt immer mal der Geruch von abgestandenem Bier herüber. Abby wird nicht müde, uns auf ihrer Tafel immer und immer wieder die wichtigsten Worte nahe zu bringen. Ob wir uns das jemals merken können? 

Oft haben wir uns anschließend als Mittagessen einige Takkos am Strassenstand auf dem Parkplatz gegönnt (Pommesbude auf Mexikanisch). Der Tipp kam vom beleibten Health-Officer, der beim Einklarieren unsere Temperatur gemessen hatte und so aussah, als kennt er sich mit Essen aus. Die hauchdünnen Teigfladen werden wahlweise mit Fleisch, Gemüse, Ei oder Fisch gefüllt. Oft kam einer der netten mexikanischen Kunden auf uns zu und hat uns „seine Lieblingsfüllung„ empfohlen. 

Hier ließ es sich aushalten. 

Der Ankergrund vor Isla Mujeres ist nicht der Beste. Unter der obersten Sandschicht scheint Stein oder Koralle zu sein, sodass sich der Anker nicht richtig eingraben kann. Das ist kein Gutes Gefühl, wenn viel Wind angesagt oder der Himmel so oder ähnlich aussieht… Das schlimmste Gewitter, was wir hier erlebt haben, war schon Tage vorher angekündigt. Einige Segler hatten ihre Boote in die Lagune nebenan verholt, wo es etwas mehr Schutz vor Schwell gab. Andere haben einen zweiten Anker ausgebracht. Wir haben uns dafür entschieden, an Bord zu bleiben, den Motor zu starten und auf unseren Hauptanker zu vertrauen, damit wir flexibel sind und schnell Anker auf gehen können, falls es notwendig ist. Letztendlich kam es einige Stunden früher als angekündigt. Der Himmel wurde schwarz, Matthias hatte gerade noch Zeit, den Motor zu starten, der Wind drehte um 180 Grad und schon tauchten 35 Knoten Wind auf dem Windmesser auf. So etwas hatten wir bisher noch nicht erlebt. Der Katamaran, der mit Abstand hinter uns gelegen hatte, lag nach dem Winddreher direkt vor uns. Wir drohten zu kollidieren und sein Steuerbord-Motor hing fast in unserer Ankerkette. Jacques von der Panache kam im strömenden Regen mit seinem Dinghy angebraust und hat ihnen geholfen, Anker auf zu gehen. Sie hatten 30m mehr Ankerkette gegeben als wir und lagen nach dem Winddreher plötzlich neben uns. Matthias ist eine halbe Stunde im Wolkenbruch gegen den Wind angefahren, um dem Anker zu helfen. Er schien zu halten, aber  vor uns immer mehr Boote zu driften begannen, sind wir Anker auf gegangen, um im Zweifelsfall ausweichen zu können. Nicht alle Boote um uns herum hatten einen (funktionierenden) Motor. Da das Gewitter früher kam als erwartet, waren auch nicht alle Crews an Bord. Jacques ist es gelungen, ein driftendes Boot zu sichern bevor es auf das Riff hinter uns getrieben war. So ist nichts passiert und alle sind mit dem Schrecken davon gekommen, bis auf Matthias, der sich nach einem Temperatursturz auf 24 Grad und einer Stunde im strömenden Regen eine saftige Erkältung geholt hat.